Bakary Sambe
Vier Jahrzehnte Verspätung
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Interview von Tobias Zick
Der senegalesische Politikwissenschaftler Bakary Sambe forscht zum Einfluss transnationaler islamistischer Netzwerke in Afrika. Zum Interview in einem belebten Café in der Hauptstadt Dakar erscheint er in Begleitung seines Assistenten. « Aus Sicherheitsgründen », sagt er.
SZ: Herr Sambe, eigentlich kennt man Senegal doch als Hort eines friedlichen, absolut toleranten Islam.
Bakary Sambe: Ja, aber die radikalen Einflüsse nehmen zu. Am Stadtrand von Dakar haben Wahhabiten eine Moschee erobert und mit Gewalt den Imam abgesetzt, um einen anderen zu installieren. Der bisherige, sagten sie, predige nicht den wahren Islam. An der Universität von Dakar hält eine salafistische Studentenvereinigung die traditionellen Bruderschaften davon ab, ihr Ritual zu praktizieren.
Seit wann gibt es diese Einflüsse?
Seit den 1970er-Jahren verfolgen die Wahhabiten vom Golf eine Sahelstrategie. Wenn die Europäer nun über eine eigene Strategie für die Sahelzone reden, kommen sie mit vier Jahrzehnten Verspätung.
Womit begann die islamistische Sahelstrategie?
In den 1970er-Jahren grassierten hier Dürren und Hungersnöte. Europa und die USA steckten damals in der Ölkrise, allein die Golfstaaten hatten reichlich Geld. Die Ölmonarchien entwarfen eine Strategie auf zwei Säulen: Da’wa (Predigt), und Ighatha (Wohltätigkeit). Konkret heißt das: Man ersetzt den Staat – im sozialen Sektor, bei der Bildung, der Gesundheit. Eine Strategie, die vor allem auf die Ärmsten zielt. In den 1980er-Jahren konnte sich das umso besser verbreiten, als die westlichen Geberländer den afrikanischen Staaten Anpassungsprogramme aufnötigten. Die verhinderten, dass diese Länder selbst in Bildung und Gesundheit investieren konnten. Da taten sich große Lücken auf, in die islamische Organisationen vorstoßen konnten.
Ganz abwesend ist der Staat heute nicht.
Nein, und dort, wo er präsent ist, herrschen enorme Spannungen. Etwa in der Bildung. Senegal ist eines der wenigen Länder der Welt, wo sich neben dem offiziellen Bildungssystem ein paralleles etabliert hat; in arabischer Sprache, mit einer ganz eigenen Agenda. Über dieses System hat der Staat keine Kontrolle – weder über die Finanzierung noch über die pädagogische Ausrichtung und die Lehrpläne. Und es bringt eine frustrierte Elite hervor; junge Leute, die in Saudi-Arabien gewesen sind, kehren zurück, finden keine Arbeit, haben nichts zu tun. Beste Bedingungen für radikale Gruppen.
Welche Ziele verfolgen diese Gruppen?
Manche sind klar politisch ausgerichtet und mit den ägyptischen Muslimbrüdern verbandelt, andere zielen auf religiöse Reform ab. Sie bekämpfen den Islam der traditionellen Sufi-Bruderschaften. Sie behaupten, ihr Ziel sei die Errichtung einer echten islamischen Gesellschaft.
95 Prozent der Senegalesen sind doch bereits Muslime.
Wir haben seit Jahrhunderten einen Islam, der friedfertig ist und nie Probleme bereitet hat. Diese Organisationen wollen den senegalesischen Islam politisieren, indem sie ihn mit salafistischen und wahhabitischen Ideologien infizieren und Konflikte der arabischen Welt in die hiesige Gesellschaft importieren.
Was versprechen sie sich davon?
Dahinter steckt ein arabischer Paternalismus, der davon ausgeht, dass die afrikanischen Muslime zu wahren Muslimen gemacht werden müssten. Die arabische Welt nimmt uns Afrikaner gewissermaßen als Unter-Muslime wahr, aber das ist nichts Neues.
Sondern?
Schon 1591 kam der Sultan von Marokko und sagte, er wolle jetzt Mali islamisieren – da war Timbuktu schon längst eines der größten islamischen Zentren überhaupt. Das eskalierte dann in der Schlacht von Tondibi, etwa 60 Kilometer nördlich von Gao. Als im Jahr 2012 die Dschihadisten die Mausoleen in Timbuktu zertrümmerten, steckte dahinter abermals die Botschaft, dass wir Afrikaner nichts zum Islam beigetragen hätten – und man uns einen reinen Islam bringen müsse. Der kulturelle Beitrag der afrikanischen Muslime zur islamischen Zivilisation soll zerstört werden.
Worin genau besteht dieser Beitrag?
Die Afrikaner haben etwas Außergewöhnliches vollbracht: eine kritische Assimilierung der Religion. Sie haben die Zugehörigkeit zum Islam mit den bestehenden kulturellen Realitäten vereint – mit der Folge, dass der Islam zur integrierenden Kraft wurde, basierend auf Frieden und Dialog. Ein friedfertiger, spiritueller Islam, der keine Spannungen zwischen Kultur und Religion erzeugt. Ein Glaube, der den Islam nicht politisiert, sondern für sozialen Zusammenhalt sorgt.
Wie könnte man heute die Radikalisierung aufhalten?
Der Westen muss sich klar werden, dass der Krieg gegen Terror ein ideologischer Kampf ist, den man nicht mit Panzern und Drohnen gewinnt, sondern mit Bildung . Eine vernünftige Sahel-Strategie müsste darin bestehen, die afrikanischen Staaten handlungsfähig zu machen. Diese Staaten müssen ihre Grenzen kontrollieren können. Wir brauchen eine Strategie der kollektiven Sicherheit, wie sie die Afrikanische Union anstrebt.
Welcher Beitrag kann aus Senegal selbst kommen?
Hier haben wir den Vorteil, dass – anders als in Mali – der Islam der Bruderschaften noch nicht zerstört worden ist. Die Bruderschaften bilden noch starke Bollwerke gegen die gewaltsame Radikalisierung – vorausgesetzt, sie erneuern ihren Diskurs; der ist bislang vor allem theologisch, theoretisch, repetitiv. Mehr der Vergangenheit zugewandt als der Zukunft.
Wie könnten die Bruderschaften die frustrierten Jungen erreichen?
Sie müssten die wahren Probleme ansprechen: Armut, Korruption – bisher sind die Bruderschaften Kollaborateure der Regierung. Wenn sie daran festhalten, werden die Jungen sich auch gegen die Bruderschaften stellen, sich von deren Islam abwenden und sich einem Islam anschließen, der fordernder auftritt, kämpferischer – und sich so als modern präsentiert.
Für Senegal besteht also, verglichen mit Mali und Nordnigeria, noch Grund zur Zuversicht?
Ich bin optimistisch, aber vorsichtig: Sobald eine Ideologie, wie sie zur Zertrümmerung der Mausoleen von Timbuktu geführt hat, erst einmal in der Gesellschaft verankert ist, wird die Handlungsbereitschaft nur noch eine Frage der Gelegenheit sein. Und Gelegenheiten kommen immer überraschend. Die Senegalesen müssen mit dem Mythos der Gewaltlosigkeit ihres eigenen Volkes aufräumen. Vor einigen Jahren haben sich Jugendliche, getrieben von Armut und Elend, im Protest gegen die Mächtigen vor den Toren des Präsidentenpalastes selbst verbrannt. Wer zu so etwas bereit ist, der kann sich eines Tages auch einen Sprengstoffgürtel umbinden.
Tobias Zick
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Tobias Zick, Jahrgang 1977, hat nach der Henri-Nannen-Schule den Journalistenverbund Plan 17 mitgegründet, als freier Journalist in Genua gelebt und für Magazine wie Stern, Geo, Neon, Brand Eins, Mare, Dummy u.a. geschrieben. Für sein Buch « Heimatkunde » erkundete er Deutschland zu Fuß. Er war Redakteur bei Neon, IJP-Stipendiat in Kairo, freier Textchef und Kolumnist bei Natur, Seminarleiter und Dozent für Reportage/Magazingeschichte sowie Vorstandsmitglied der Freischreiber. Träger des EU Health Prize for Journalists. Seit Anfang 2013 Afrika-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Nairobi.